Mein begleiteter Flug ging von Frankfurt über Toronto nach Winnipeg (Provinz Manitoba). Bei meiner Ankunft am Flughafen in Winnipeg wurde ich von meinen Gasteltern und meinen zwei kleinen Gastbrüdern (1 und 3 Jahre alt) mit herzlichen Umarmungen empfangen. Mein älterer Gastbruder hatte ein süßes Willkommensschild für mich gemalt, worüber ich mich riesig gefreut hatte. Gleich vom ersten Augenblick an fühlte ich mich als Teil der Familie und auch die Kinder hatten ihre Schüchternheit schnell abgelegt. Die Menschen in Manitoba sind unwahrscheinlich freundlich und warmherzig – nicht umsonst heißt es: „Friendly Manitoba“. Man fühlt sich sofort sehr wohl.
Bis zu meinem Schulbeginn waren es noch drei Tage. Leider mussten meine Gasteltern, die beide Lehrer sind, schon in die Schule, um den Jahresanfang vorzubereiten. Somit waren diese ersten Tage für mich ein wenig langweilig, da ich ja noch niemanden kannte. So konnte tatsächlich etwas Heimweh aufkommen, wenn ich alleine war. Doch sobald auch für mich die Schule losging, war dieses Heimweh wie weggeblasen. Meine Schule, die nur 5 Minuten mit dem Rad von meinem neuen Zuhause entfernt lag, heißt Collège Pierre-Elliott-Trudeau und alle Fächer - außer Englisch und Musik - werden auf Französisch unterrichtet. Dies ist eine Besonderheit für diese Region, weil ich mich im englischsprachigen Teil von Kanada befinde. Außerdem ist meine Schule sehr klein: Sie hat nur circa 350 Schüler und deshalb waren wir im ersten Halbjahr auch nur 3 Austauschschüler, was ich als sehr angenehm empfand. Ich habe sehr schnell die kanadischen Mitschüler kennengelernt und konnte mich rasch integrieren. Im zweiten Halbjahr war ich der einzige Austauschschüler an meiner Schule.
Mein Tagesablauf sah folgendermaßen aus: Der Unterricht begann immer um 8:45 Uhr. Das Erste, was wir dann in unserem Klassenzimmer hörten, war die kanadische Nationalhymne – natürlich auf Französisch. Mir hat es sehr gut gefallen, es einem ein Gefühl von Zusammenhalt und Gemeinschaft gibt. Jede Schulstunde dauerte 65 Minuten, zwischen den Fächern hatte man immer eine 5-Minuten-Pause zum Raumwechsel. Mein Stundenplan war sehr einfach, denn man hat jeden Tag die gleichen 5 Fächer, die jedes Halbjahr neu gewählt werden. Ich habe je nach Fach an Kursen der 10., 11. oder 12. Jahrgangsstufe teilgenommen. So konnte der in manchen Fächern unterschiedliche Bildungsstandard zwischen Deutschland und Kanada hervorragend aufgefangen werden. Die Schule endete jeden Tag um 15:30 Uhr.
Nach der Schule konnte man noch freiwillig an Sportaktivitäten teilnehmen. Diese finden jeweils in Blöcken von 2 - 3 Monaten statt. Ich habe im ersten Halbjahr zunächst im Volleyball- und dann im Basketballteam mitgespielt, im zweiten Halbjahr im Badminton-Team. Diese Sportteams sind wirklich toll! Sie schweißen die Schüler noch mehr zusammen und hier habe ich auch einige meiner besten Freunde kennengelernt. Außerdem wurde von meiner Schule eine Skifreizeit organisiert. Wir verbrachten 3 fröhliche Tage in den USA.
Bemerkenswert ist das Miteinander zwischen Lehrern und Schülern, das sich deutlich von dem in Deutschland unterscheidet. Es herrscht eine deutlich lockerere Atmosphäre und sowohl aus Sicht der Lehrer als auch aus Sicht der Schüler besteht ein freundschaftliches Verhältnis zueinander. Dies schafft ein tolles Klima!
Auch die Ferienregelung in Kanada ist ganz anders als in Deutschland. Ich hatte lediglich an Weihnachten 2 Wochen und im Frühjahr 1 Woche Ferien. Ansonsten ist es hier so geregelt, dass es immer mal wieder einen Freitag und/oder Montag frei gibt, so dass man ein verlängertes Wochenende hat. Das ist auch sehr angenehm.
So viel zur Schule! Nun möchte ich euch noch ein wenig über meine Familie und unsere Unternehmungen berichten:
Bei uns zuhause lief das Leben zweisprachig ab. Mein Gastvater spricht nur Englisch, wohingegen meine Gastmutter sowohl Englisch als auch Französisch spricht. Sie unterhält sich mit ihren Kindern auf Französisch und mit mir mal auf Englisch und mal auf Französisch – je nachdem, wozu wir gerade Lust hatten. Weil sowohl die Geschwister als auch die Eltern meiner Gasteltern in Winnipeg leben und die Familiengemeinschaft sehr groß geschrieben wird, sind gegenseitige Besuche und auch Familientreffen und –feiern an der Tagesordnung. Es ist wunderbar, erleben zu dürfen, wie man in alle Aktivitäten voll integriert ist.
In unserer freien Zeit sind wir mehrfach für ein paar Tage an einen der nördlich von Winnipeg gelegenen Seen gefahren. Dort konnten wir die „Cabin“ der Familie nutzen. Das Blockhaus liegt ganz abgeschieden und hat weder fließend Wasser noch Strom. Es ist sehr gemütlich eingerichtet und bietet für viele Leute Platz. Die Landschaft dort ist wirklich so, wie man sich Kanada vorstellt: unendliche Weiten und Natur pur. Angeln, Boot fahren, Quad fahren, Grillen und Lagerfeuer standen hier auf der Tagesordnung. Beim Spielen und Lesen konnten wir die Ruhe und Schönheit der Natur genießen und herrlich ausspannen.
Über die Weihnachtsferien haben mich dann meine Eltern und meine Schwester besucht. Entgegen den Befürchtungen von GIVE, die von Besuchen der Familie abgeraten hatten, hat es mir viel Spaß gemacht und ich habe in keiner Weise Heimweh bekommen. Sie konnten mit bei uns im Haus wohnen und wir haben zusammen mit meiner Gastfamilie sehr viel unternommen. Neben dem üblichen Sightseeing hatten wir die Möglichkeit, mit Skidoos die tief verschneite Winterlandschaft zu erkunden und über zugefrorene Seen zu düsen. So hat sich auch eine intensive Freundschaft zwischen beiden Familien ergeben. Das ist wirklich eine tolle Sache.
Im Nachhinein bin ich sehr froh, dass ich die Möglichkeit hatte, meinen Auslandsaufenthalt von ursprünglich 5 geplanten Monaten auf 10 Monate zu verlängern. Wenn man sich in seiner Gastfamilie sehr wohlfühlt, vergeht die Zeit auch fern von zu Hause wie im Fluge.
Abschließend kann ich sagen, dass ein solcher Auslandsaufenthalt eine einzigartige Gelegenheit ist, einen anderen Teil der Welt zu erkunden, neue Freunde in anderen Ländern kennenzulernen und sich mit deren Traditionen und Gewohnheiten vertraut zu machen. Neben den Fortschritten und den Erfahrungen in einer – in meinem Fall sogar zwei – anderen Sprachen fördert eine eigenverantwortliche Zeit weit weg von zu Hause natürlich auch die eigene Persönlichkeit und Selbständigkeit. Ich kann nur jedem, dem die Möglichkeit geboten wird, eine Zeit im Ausland zu verbringen, empfehlen, diese Gelegenheit wahrzunehmen. Für mich war es ein einmaliges, unvergessliches Erlebnis!