Am Flughafen in Montreal angekommen, durchlief ich mit einem Puls von 180 den Immigrationsprozess. Nach 2 ½ Jahren Französischunterricht war ich zwar in Deutschland der Meinung gewesen, eine ganz gute Grundlage zu haben, merkte aber in Kanada ziemlich schnell, dass ich meine Kenntnisse doch ein wenig überschätzt hatte. Denn als ich dann am Flughafen auf meinen Gastvater traf und wir zu unserem Haus, meiner neuen Heimat, fuhren, hatte ich schon damit Probleme, zu beschreiben, ob mein Flug gut verlaufen war.
Meine Gastfamilie wohnt in Laval, einer Vorstadt von Montreal mit ca. 400 000 Einwohnern, dementsprechend gab es eine sehr gute Anbindung zu öffentlichen Verkehrsmitteln (nach Montreal hab ich mit Bus und Metro ca. eine Stunde gebraucht).
Am ersten Abend, nachdem ich meine neuen Familienmitglieder begrüßt und mein Zimmer eingerichtet hatte, bin ich ziemlich früh ins Bett gegangen. Ich kann aber weder bei Hin- noch Rückflug von Jetlag sprechen.
In den nächsten Tagen standen dann die Anmeldung in der Schule, Einkaufen (meine Gastmutter nahm mich oft in den Supermarkt mit, damit sie weiß, was mir schmeckt), Bus- und Handykarte kaufen an.
Und nach nicht mal 48 Stunden in dem fremden Land war es so weit: mein erster Schultag! Ich war den ganzen Tag super nervös, die Schule war ca. dreimal so groß wie meine deutsche (2500 Schüler) und der Schultag kam mir auch ewig vor (9.45 – 16.20 Uhr). Aber ich hatte sogar ein „Willkommens-Komitee“, also ein paar Schüler, die mir halfen, mich an meinem ersten Tag zurechtzufinden. Schließlich traf ich die zwei einzigen anderen Austauschschüler meiner Schule, zwei Mädchen aus Deutschland.
Da meine Schule sowie meine Gastfamilie französischsprachig waren, wurde ich in den ersten Wochen sprichwörtlich „ins kalte Wasser geworfen“, aber machte im Laufe der Zeit große Fortschritte, was mir auch oft von Familie und Freunden bestätigt wurde.
Mit meiner Gastfamilie kam ich von Anfang an richtig gut klar. GIVE's Partnerorganisation SEIQ hat uns wirklich zu einem „Perfect Match“ verholfen und ich bin mir sicher, dass der aufwendige Anmeldeprozess seinen Sinn hatte.
Da ich Ende Januar in Kanada ankam, gab es aufgrund der Kälte (bis zu -30°C) in den ersten 2 Monaten nicht viele Freizeitbeschäftigungen. Leider bot auch meine Schule nichts dergleichen an. Trotzdem hatte ich eigentlich jedes Wochenende etwas zu tun. Entweder verabredete ich mich mit meinen neuen Freunden zum Shoppen in einem der vielen Einkaufszentren oder wir besuchten Winterfestivals, von denen es in Montreal eine Menge gibt! Und es ist natürlich auch eine wetterfeste Beschäftigung, zum berühmten Donutladen Tim Hortons zu gehen.
Außerdem kann man in den Bergregionen in der Umgebung auch sehr gut Skifahren.
Mit steigender Temperatur kam dann auch die Abwechslung: meine Gastfamilie und ich gingen wandern, Fahrradfahren oder Joggen, mit Freunden war ich picknicken und in Freizeitparks.
Auch in der Schule lief es mit der Zeit immer besser. Mittlerweile sprach ich fast schon flüssig Französisch und verstand dem Sinn nach alles. Wirklich gute Noten hatte ich im Französischunterricht der Muttersprachler zwar nie, hab mich aber vor allem in den anderen Fächern ganz gut geschlagen. Und mit der Hilfe meiner zuvorkommenden Mitschüler hatte ich immer jemanden, den ich fragen konnte, wenn ich etwas nicht verstand.
Gegen Ende meines Aufenthalts überschlugen sich die Ereignisse fast. Abschlussexamen, PROM (zu dem ich eigentlich zu jung war, aber mithilfe des „Austauschschülerbonus“ und einer netten Lehrerin wurde mein Traum doch möglich), mein 16. Geburtstag und ganz viele Ausflüge, da das Wetter endlich perfekt war – ich finde, die letzten 2 meiner 5 Monate waren die besten.
Jedenfalls nahte der Abschied, und ich konnte bis zum letzten Moment am Flughafen noch gar nicht realisieren, dass es wirklich schon vorbei war. Sowohl ich als auch meine Gastmutter standen in Tränen vor dem Security Check, als es dann tatsächlich „Au revoir“ hieß.
Doch kaum im Flugzeug freute ich mich schon auf meine deutsche Familie und Freunde, die mich dann in versammelter Mannschaft am Flughafen empfingen.
Jetzt kann ich sagen, dass die Erfahrungen, die ich in Kanada gemacht habe, unheimlich wertvoll sind, und ich nicht nur eine 2. Muttersprache, sondern auch eine 2. Familie und tolle neue Freunde dazugewonnen habe. Das ist es wert, sein deutsches Leben mal eine Zeit lang zu verlassen, die Zeit vergeht schnell und man bringt so viel nach hause mit! Nicht nur Ahornsirup, sondern auch Selbstvertrauen, Reife und Toleranz.